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Die attische Drachme, eine lange Tradition ... vom Geld der Antike bis zum Euro

Von Sarah de Vos, Museumsführer

Diese Tetradrachme stammt aus dem Stadtstaat Athen. Sie war die erste "internationale" Münze und als solche im gesamten Mittelmeerraum im Umlauf

Pièce de monnaie représentant une chouette

in Kürze

Um 500 v. Chr. tauchte in Athen eine ganz neue Münze auf: die Tetradrachme, die auf der Vorderseite das Bildnis der Göttin Athena und auf der Rückseite eine Eule und einen Olivenzweig trug. Da die Eule als nachtaktives Tier in der Lage ist, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben, verkörperte sie die Weisheit. Deshalb wurde die griechische Göttin der Weisheit Athene stets von einer Eule begleitet. Die Tetradrachme zeugt nicht nur vom ausgeprägten Sinn für Ästhetik der Griechen, sondern auch von der großen Bedeutung der Geldwirtschaft in ihrem Alltag. Eule und Olivenzweig bilden das Bindeglied zwischen der Tetradrachme und der griechischen Ein-Euro-Münze. Die Tetradrachme war die erste „internationale“ Währung, die in ganz Europa verbreitet war. Die griechische Ein-Euro-Münze veranschaulicht daher den Wunsch nach Einheit und damit das Wesen der Eurozone, der Europäischen Union und des europäischen Gedankens.

Wenn Sie eine griechische Ein-Euro-Münze in der Hand halten und die Vorderseite betrachten, ist Ihnen wahrscheinlich nicht auf Anhieb bewusst, dass bereits 500 v. Chr. Münzen mit einer ähnlichen Abbildung im Umlauf waren. Die Darstellung der Eule und des Olivenzweigs ist eine jahrhundertealte Illustration, die in der griechischen Antike die attische Drachme – ebenso wie die Unterteilungen und Vielfachen dieser Silbermünze – schmückte und noch heute auf der Ein-Euro-Münze abgebildet ist. In den Vitrinen im ersten Stock können Sie nicht nur zwei prachtvolle attische Tetradrachmen aus dem 5. Jh. v. Chr. (eine Tetradrachme entspricht vier Drachmen) bewundern, sondern auch eine weitere griechische Münze, auf der eine Eule abgebildet ist.

Mit der Eule und dem Olivenzweig auf der nationalen Seite ihrer Ein-Euro-Münzen betonen die Griechen ihre reiche Vergangenheit. Diese Referenz verweist nicht nur auf die historische Bedeutung der Stadt Athen, sondern erinnert auch daran, dass die ersten europäischen Münzen in Griechenland geprägt wurden.

Pièce d'1 euro grecque
Eine griechische Euro-Münze © Europäische Kommission
Pièce de monnaie ancienne
Athenische Didrachme aus der Zeit um 540 v. Chr. © Museum der Belgischen Nationalbank

Wenden wir uns nun dem historischen Kontext zu, in dem die attische Tetradrachme entstanden ist. Die ersten Münzen der westlichen Welt wurden im 6. und 7. Jh. v. Chr. an der Westküste Kleinasiens geprägt. Bald darauf verbreiteten sich Münzen als Zahlungsmittel auf dem griechischen Festland. Die ersten Münzen wurden in Mittelgriechenland (Ägina, Athen und Korinth), in Nordgriechenland (in den mazedonischen Küstenstädten Acanthus, Mende und Potidae) sowie auf der Insel Siphnos hergestellt.

Die ältesten attischen Münzen sind die Didrachmen, die um 560-550 v. Chr. Geprägt wurden. Diese Silbermünzen gab es mit einer Vielzahl von Darstellungen, von denen man früher annahm, dass sie mit den Wappen adeliger Athener Familien zusammenhingen. Die Herkunft dieser Münzen ist jedoch umstritten: Es ist nicht nachgewiesen, dass sie von der Stadt Athen oder von verschiedenen Adelsfamilien ausgegeben wurden. Der Umlauf dieser Münzen war zu allen Zeiten regional beschränkt.

Um 500 v. Chr. tauchte in Athen eine ganz neue Münze auf: die Tetradrachme, die auf der Vorderseite mit dem Bildnis der Athena und auf der Rückseite mit der Darstellung einer Eule geschmückt war. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich diese Art von Geld zu einem „internationalen“ Zahlungsmittel entwickelt, das im gesamten Mittelmeerraum verwendet wurde.

Die attische Münzserie umfasste nicht weniger als fünfzehn, später sechzehn verschiedene Werte, von der Dekadrachme (im Wert von zehn Drachmen) bis zum kleinen Hemitetratemorion (im Wert von einem Achtel eines Obols, wobei eine Drachme sechs Obolen entspricht). Die Tetradrachme war der häufigste Nennwert

Da die (Tetra-)Drachme im Gegensatz zu den ersten attischen Münzen oder Münzen aus anderen griechischen Städten im gesamten Mittelmeerraum verwendet wurde, ist sie ein handfester Beweis für die wirtschaftliche Macht und das politische Prestige der Stadt Athen. Sie zeugt nicht nur vom großen Sinn für Ästhetik der Griechen, sondern auch von der großen Rolle, die die Geldwirtschaft in ihrem Alltag spielte.

Pièce de monnaie représentant la figure d'une femme
Vorderseite einer athenischen Tetradrachme aus der Zeit um 450 v. Chr. © Museum der Belgischen Nationalbank
Petites pièces
Unterteilungen der Drachme © Lefevre Hugo

Setzen wir nun unseren Rundgang fort und beschäftigen wir uns etwas näher mit der Bedeutung und Symbolik der Darstellung der Eule und des Olivenzweigs und der Frage, warum diese mit der Göttin Athena in Verbindung gebracht werden.

Da die Eule als nachtaktives Tier in der Lage ist, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben, verkörperte sie die Weisheit. Deshalb wurde die griechische Göttin der Weisheit Athene stets von einer Eule begleitet. Die Darstellung einer Eule auf Münzen ist nicht auf das antike Griechenland und den Euroraum beschränkt. Man findet sie nicht nur auf europäischen Münzen: in Griechenland (z. B. 10 Leptas von 1912 und 2 Drachmen von 1973), aber auch in Finnland (z. B. 100 Mark von 1990), in Polen (z. B. 500 Zloty von 1986), Weißrussland (z. B. 1 Rubel von 2005), Mongolei (z. B. 1.000 und 500 Tugriks von 2005), Cookinseln (z. B. 50 Dollar von 1993) oder Neuseeland (5 Dollar von 1999).

In der oberen linken Ecke befindet sich ein Olivenzweig. In der Antike wurde auch der Olivenzweig mit der Göttin Athena in Verbindung gebracht. Anlässlich einer Wette mit Poseidon, dem Gott des Meeres, deren Einsatz die Souveränität von Attika war, soll Athena auf der Akropolis einen Olivenzweig gepflanzt haben. Die Tatsache, dass die Götter aus Olivenholz geschnitzt wurden, beweist, dass dem Olivenzweig schnell eine heilige Bedeutung zukam. Der heilige Wald von Olympia bestand ebenfalls aus Olivenbäumen, deren Zweige den siegreichen Athleten als Siegespreis überreicht wurden. Ebenso trugen die Sieger zu verschiedenen Anlässen nicht nur Lorbeer-, sondern auch aus Olivenzweigen geflochtene Kränze.

Rechts von der Eule waren die ersten drei griechischen Buchstaben des Wortes „Athen“ zu lesen. Auf der Ein-Euro-Münze wurden diese durch die Nennwertangabe ersetzt. Die Eule und der Olivenzweig bilden das Bindeglied zwischen den beiden historisch bedeutsamen Münzen: der Tetradrachme aus dem 5. Jh. v. Chr. und dem Euro von heute.

Die geschichtsträchtige attische (Tetra-)Drachme hat sich also mit einem neuen „europäischen Kleid“ geschmückt - im Grunde genommen eine Art Hommage. Sie war die erste internationale Münze, die auf dem europäischen Kontinent verwendet wurde, und veranschaulicht damit auch den Wunsch nach Einheit, das Wesen der Eurozone, der Europäischen Union und des europäischen Gedankens. Die griechische Ein-Euro-Münze soll uns daher daran erinnern, dass wir ein „greifbares“ Stück europäischer (Geld-)Geschichte in den Händen halten.

Pièce de monnaie représentant une chouette
Rückseite einer athenischen Tetradrachme aus der Zeit um 450 v. Chr. © Museum der Belgischen Nationalbank

Bibliografie

  • Danneel M., “Het museum van de Nationale Bank van België”, in Openbaar Kunstbezit Vlaanderen, nr. 2, Drukkerij Die Keure, Brugge, 2000, p. 11.
  • Torfs, J., ‘Uilen, ook overdag op munten te vinden’, in De Muntmeester, tijdschrift van de Diestse studiekring voor numismatiek, driemaandelijks tijdschrift, jaargang 3 nr. 2, Diest, juni 2008, pp. 26-29.
  • Van der Vin Dr. J. P. A., Het geld van Grieken en Romeinen. Inleiding in de antieke numismatiek, Peeters, Leuven, 1984.